Wenn der Doktor plötzlich stirbt – und das auf dem Lande

Wie beschwerlich die vertragsärztliche Versorgung in ländlichen Regionen heute schon ist, kann man regelmäßig in der Presse nachlesen. Besonders schwierig wird es dann, wenn der eigene Arzt nicht nach einer längeren Ankündigung seine Praxis aufgibt, sondern von einem auf den anderen Tag nicht mehr da ist. So geschehen gerade im nordbrandenburgischen Templin.

Templin, das Städtchen in dem Angela Merkel seit 1957 aufwuchs, gehört mit seinen 16.000 Einwohnern aus nordrhein-westfälischer Sicht vielleicht zur tiefsten Provinz, ist aber für die brandenburgisch-mecklenburgische Grenzregion ein wichtiges Zentrum mit Krankenhaus, Gymnasium, Bahnanbindung usw.

Obwohl der verstorbene hausärztliche Internist also keineswegs der einzige Hausarzt war, und Templin wohl auch nicht unterversorgt ist, haben die Patienten nach Medienberichten größere Probleme, bis zur Neubesetzung des Vertragsarztsitzes einen Arzt zu finden.

Sofern überhaupt jemand die Praxis übernimmt.

Wieder etwas gelernt

Die Figur des „einfachen Befunderhebungsfehlers mit Beweislastumkehr“war mir bis vor Kurzem auch neu. Bei einfachen Behandlungsfehlern liegt die Beweislast bekanntlich bei den klagenden Patienten. Bei groben Behandlungsfehlern, hierzu gehört auch eine unterlassene Befunderhebung, obwohl sich diese gerade zu aufdrängte und ihr Unterlassen fundamental falsch war, müssen hingegen Ärzte und Klinikträger beweisen dass der Behandlungsfehler gerade nicht ursächlich für den Schaden war (§ 630h Abs. 5 BGB). Dass überhaupt ein grober Behandlungsfehler vorliegt, muss allerdings der Patient beweisen – hierfür werden Sachverständigengutachten eingeholt.

Zwischen diesen beiden steht nun der einfache Befunderherbungsfehler mit Beweislastumkehr:

Hier ist die fehlende Befunderhebung an sich nicht grob fehlerhaft gewesen. Steht aber mit einer über fünfzig Prozent betragenden Wahrscheinlichkeit fest, dass der nicht erhobene Befund zu einem Ergebnis geführt hätte, dass den Arzt zu einer Reaktion (Einleiten von Therapiemaßnahmen, weiteren Untersuchungen usw.) veranlasst hätte und wäre das Nichtvornehmen dieser Maßnahmen in Kenntnis des Befundes (der gerade nicht erhoben wurde), ein grober Behandlungsfehler wäre, dann tritt hinsichtlich der Kausalität zwischen der unterlassenen Befunderhebung und dem vom Patienten erlittenen Schaden doch eine Beweislastumkehr ein. Arzt und Klinikträger müssen nun beweisen, dass auch bei Erhebung des Befundes bzw. bei Reaktion auf diesen nicht erhobenen Befund der Schaden eingetreten wäre, soll ihre Haftung hieran scheitern.

Mich interessiert wirklich, wie Rechtsanwälte dies ihren Mandanten gut erklären…

Eigentlich…

…darf die Aufklärung der Patienten vor ärztlichen Behandlungen über die Diagnose, die geplante Behandlung, mögliche Risiken, Alternativen und auch über wirtschaftliche Fragen nur von ärztlichem Personal erfolgen. Zudem muss sie persönlich oder ausnahmsweise telefonisch vorgenommen werden und dazu – aber nicht ausschließlich – schriftlich. Ein nicht ordnungsgemäß aufgeklärter Patient kann nicht wirksam in seine Behandlung, die eine Körperverletzung darstellt, einwilligen. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht wohl angesichts der Arbeitsbelastung deutlich anders aus.

Amtsermittlung

In zivilgerichtlichen Verfahren gibt es anders als im Straf-, Sozial-, und Verwaltungsrecht eigentlich keine Amtsermittlung. Das heißt, Kläger und Beklagter müssen selbst „ermitteln“ und dem Gericht begründen, wieso die Klage begründet oder eben unbegründet ist. Dort, wo es einen Amtsermittlungsgrundsatz gibt, ist dies eigentlich Aufgabe des Richters. Ausnahmsweise gibt es auch im Zivilrecht eine Amtsermittlung, nämlich in bestimmten Bereichen des Arzthaftungsrechts. Angesichts der großen Komplexität und der Beweisprobleme der Patienten sollen hier die Richter selbst ermitteln beim medizinischen Sachverhalt, bei dem Vorliegen des Behandlungsfehlers und dem Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Schaden.

Aspekte, die der Patient selbst recht einfach beweisen kann, wie etwa das Vorliegen des Schadens, sind hiervon aber ausgenommen.

Arzthaftung

Für den Bereich der zivilrechtlichen Arzthaftung, d.h. für Fälle, in denen Ärzten vorgeworfen wird, einen Behandlungsfehler begangen zu haben und für hierdurch erlittene Schäden Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangt wird, habe ich vor Kurzem interessante Zahlen gehört: 90 Prozent der (u.U. nur vermeintlichen) Arzthaftungsfälle werden demnach außergerichtlich gelöst. Von den zehn Prozent, die vor die Gerichte gebracht werden, sollen Ärzte wohl über 99 Prozent gewinnen.

Über die vielschichtigen Ursachen hier darf sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

„Kassen lehnen hunderttausendfach Leistungen ab“

Spiegel Online berichtet dieser Tage darüber, dass die Gesetzlichen Krankenkassen durch die MDK  es „hunderttausendfach“ ablehnten, Leistungsanträgen ihrer Versicherten zu entsprechen.

Liest man den Artikel, dann wird zunächst schnell deutlich, dass diese hohen absoluten Zahlen, die der „Spiegel“ für seine Überschrift genutzt hat, vor allem auf der großen Anzahl an Leistungsanträgen beruhen.

Verbraucherzentralen, Sozialverbände usw. verurteilten diese Ablehnungspraxis der MDK, insbesondere „für die Betroffenen ist die Situation kaum auszuhalten“, heißt es in dem Artikel. Dies soll nicht bestritten werden. Es ist unstreitig, dass Leistungen auch zu unrecht abglehnt werden und das hierunter gerade Kranke – und das sind fast alle Antragssteller – zu leiden haben. Auch lässt sich kaum leugnen, dass die Ablehnung von Leistungen dort am einfachsten möglich ist, wo die Betroffenen am wenigsten in der Lage sind, sich zu wehren, sei es durch eigenes Tätigwerden, durch Patientenberatungen oder durch Rechtsanwälte.

Ärgerlich ist jedoch, dass der „Spiegel“ nicht ein Wort zu einem anderen, genau so unstreitigen Aspekt verliert: Der angebotsinduzierten Nachfrage. Es ist seit langem bekannt, dass die Leistungserbringer die eigentlichen Nachfrager sind, weil sie den Leistungsbedarf der Versicherten, den diese dann bei ihren Krankenkassen beantragen, definieren. Ebenso bekannt ist, dass mit einer steigenden Zulassung von Leistungserbringern nicht etwa die Nachfrage – d.h. Krankheitsfälle und damit auch Leistungsanträge – annähernd konstant auf die Leistungserbringer verteilt wird, sondern vielmehr steigt. Auch über die kräftig werbende Rolle von Arnzeimittel-, und Medizinprodukteindustrie, von Hilfsmittelherstellern usw., die bis in die Praxen hineinreicht, verliert der „Spiegel“ leider kein Wort.

Gesundheitspolitik und Gesundheitsrecht zur Bundestagswahl – Teil II: SPD

Das – übrigens sehr bunte – Wahlprogramm der SPD ist nicht minder selbstbewusst als das der Unisonsparteien, bezeichnet es sich doch als „Regierungsprogramm“.

Inhaltlich unterscheidet sich in gesundheitspolitischer Hinsicht in einer wesentlichen Kernforderung von dem der CDU/CSU: Die SPD fordert die Einführung einer sog. „Bürgerversicherung“ (S. 73), d.h. einer Versicherungspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger. Bisher in der PKV Versicherte sollen eine Wechselmöglichkeit erhalten, alle Neuversicherten in die GKV kommen müssen (S. 73). In den Rot-Grünen-Jahren unter Kanzler Schröder wurde dies nicht umgesetzt.

Abschaffen will die SPD die unter der derzeitigen Regierung eingeführten Reduzierungen der Arbeitgeberanteile für die GKV, hier sollen Arbeitnehmer- und Arbeitgeber wieder gleich hohe Beiträge zahlen müssen (S. 73).

Die für die Leistungserbringer, d.h. insbesondere die Ärzte, wohl bedeutenste Forderung der SPD ist die Angleichung der Vergütung in GKV und PKV einerseits und im ambulanten wie im stationären Bereich andereseits (S. 73). Ersteres dürfte wahrscheinlich zu massiven Einnahmeverlusten bei den Leistungserbringern bei gleichzeitiger Entlastung der PKV-Patienten führen (die die SPD eigentlich belasten will), ist es doch kaum denkbar, dass die Partei das GKV-Vergütungsniveau auf das der PKV anheben will. In diesem Fall wären entweder enorme Beitragssatzsteigerungen oder Leistungsausgrenzungen die Folge. Die IGel-Leistungen sollen zurückgedrängt werden (S. 76).

Für die ambulante Versorgung im ländlichen Raum (S. 74f) bleibt die SPD ähnlich vage wie CDU/CSU, auch hier wird von der Stärkung der Leistungserbringer, von der Zusammenarbeit der Haus- und Fachärzte unter Lotsenfunktion ersterer usw. gesprochen (S. 75).

Im Bereich der Arnzeimittel sollen „Scheininnovationen“ zurückgedrängt werden (S. 76), ohne das deutlich wird, wie dies geschehen soll. Die Marktüberwachung für Medizinprodukte soll ebenso verbessert werden wie die Patientenrechte  und die Korruptionsbekämpfung (S. 76).  Wie all dies umgesetzt werden soll, verrät das Wahlprogramm nicht.

Einen größeren Raum nimmt bei der SPD die Versorgung chronisch Kranker (S. 76) und Pflegebedürftiger (S. 77f) ein.

Gesundheitspolitik und Gesundheitsrecht zur Bundestagswahl – Teil I: CDU/CSU

In loser Folge sollen angesichts der im September anstehenden Bundestagswahlen die gesundheitspolitischen und gesundheitsrechtlichen Aussagen einiger Parteien vorgestellt werden. Begonnen werden soll dabei mit dem Wahlprogramm der Union, welches sich selbstbewusst „Regierungsprogramm 2013-2017“ nennt.

Auf Seite 74 des veröffentlichen Programmes heißt es dazu unter anderem:

„CDU und CSU wollen, dass auch in Zukunft jeder in Deutschland Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung hat, unabhängig von seinem Einkommen, Alter oder gesundheitlichen Zustand.“

Ziel sei ein „solidarisches Gesundheitswesen, in dem Hilfe für Kranke und Ältere sowie Eigenverantwortung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.“ (S. 75)

Zu diesem Zwecke soll u.a. der Hausarztberuf attraktiver werden, wozu nach Ansicht von CDU/CSU auch das bereits verabschiedete GKV-Versorgungsstrukturgesetz beitrage. Auch im Übrigen ist das Wahlprogramm vielfach eine Retrospektive. So wird darauf abgestellt, dass die Kassen nun Beiträge (GKV-untypisch „Prämien“ genannt [S. 75]) zurückerstatten könnten, wozu sie in Zukunft verpflichtet werden sollen.

Überaschend ist die Interpretation des seit dem Frühjahr geltenden Patientenrechtegesetzes. Während CDU/CSU dies als einen „großen Schritt“ (S. 76) feiern, habe ich bisher nur Einschätzungen vernommen, dass in ihm vor allem die Praxis der Rechtsprechung der letzten Jahre kodifiziert wurde.

Für den Zugang zum Medizinstudium sollen in Zukunft auch Leistungen außerhalb der Abiturnoten wie Engagement im Rettungsdienst (wobei unklar bleibt, ob das ehrenamtliche Strukturen oder hauptamtliche Vorbildungen meint) ebenso angerechnet werden wie die Verpflichtung, einige Jahre in unterversorgten Gebieten zu behandeln (S. 76).

Ansonsten bleibt es, wie bei Wahlprogrammen nicht unüblich, recht nebulös. Man möchte „Mit Blick auf eine gut erreichbare medizinische und pflegerische Versorgung vor allem in ländlichen Regionen, aber auch in strukturschwächeren Stadtteilen, […] zusammen mit den Krankenhäusern die Leistungsangebote noch besser aufeinander abstimmen.“ (S. 75)  was auch immer das heißen mag.  Ähnliches gilt für die Gewinnung von Nachwuchskräften in den ärztlichen und den Assistenzberufen.

Schließlich appeliert die Union bei der Vorstellung ihrer gesundheitspolitischen Ziele an die Eigenverantwortung zur gesunden Lebensweise und will „alle geeigneten Möglichkeiten aus[…]schöpfen, medizinische Leistungen möglichst wirksam und wirtschaftlich zu gestalten.“ (S. 77) Gespannt sein darf man auf die Umsetzung Absicht,

„Melde- und Managementsysteme einführen, die dabei helfen sollen, Fehler zu vermeiden und Qualität zu sichern.“ (S. 76).

Außer den Ärzen (und auch dort nicht die Zahnärzte) und Krankenhäuser kommen andere Akteure wie die Ärztekammern, K(Z)en und die Krankenkassenverbände nicht in den Ausführungen vor, auch die Kassen selbst werden kaum angesprochen. Die Arzneimittelhersteller haben dagegen einen eigenen Abschnitt erhalten.

Insgesamt bleiben CDU/CSU sich treu und halten an ihrer Ablehnung eines Konzeptes der Einheits- oder Bürgerversicherung (S. 75) fest. Sie bleiben einer der größten Befürworter der Trennung von PKV und GKV, wobei die Innovationsleistung der PKV hervorgehoben wird (S. 76).

Nicht berücksichtigt wurden in diesem kurzen Ausschnitt des insgesamt recht umfangreichen Abschnitts zum Gesundheitssystem die Aussagen zur Gesundheitswirtschaft und zu Alter & Pflege. Als .pdf ist das Wahlprogramm hier verfügbar.

Operationshäufigkeit und tödliche Fehler

Im Land Brandenburg gab es vor Kurzem eine Diskussion über den Erhalt kleinster und kleiner Stationen in Krankenhäusern, die nur über wenige Fälle verfügen. Insgesamt bleiben alle Krankenhäuser erhalten, nicht jedoch alle Stationen. Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtete dazu, dass die Operationshäufigkeit wohl signifikant mit der Mortalität in Verbindung stünde. Je mehr Operationen eine Klinik in einem Bereich durchführe, je mehr Erfahrung sie in den Abläufen also hätte (und vermutlich auch besser ausgestattet ist), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine Operation zu überleben. Nun kommen die Zahlen von den Wirtschaftsprüfern der Boston Consulting Group, aber wenn sie stimmen, dann gibt es Operationen, bei denen die Todeswahrscheinlichkeit in viel beschäftigten Krankenhäusern um über den Faktor 14 geringer ist als in Einrichtungen, die die betreffende Operation zwar anbieten, aber nur selten durchführen.

Auf der anderen Seite sind die Wege zu den Krankenhäusern, gerade zu den Fachstationen, schon heute auf dem Lande teilweise sehr weit.

Bundesgesundheitsministerium wirbt für Organspende

Das Bundesgesundheitsministerium hat einen Blog gestartet, der für die Bereitschaft, Organspender zu werden, werben soll. Unter www.organspende-geschichten.de stellen Prominente ihre Sichtweise auf das Thema da, werden Berichte von Betroffenen geschildert und auch einige sachliche Informationen gegeben. Neben der politischen und gesellschaftlichen Dimension ist das Thema auch medizinrechtlich sehr interessant, weil insbesondere das Vergabeverfahren über die Stiftung Eurotransplant in Leiden vielfältige Frage, insbesondere zur den Verteilungskriterien und zum Rechtsschutzes gegen Vergabeentscheidungen aufwirft.

Übrigens geht, bei aller berechtigter Kritik am Krankenversicherungssystem, schnell unter, dass es in Deutschland keine Frage des Geldes ist, dass (fast) Jedermann für ihn kostenfrei eine solch teure Operation und die notwendigen Behandlungen erhält. Organspende ist Kassenleistung.