Andere Perspektive zur Schutzbedürftigkeit von Patienten

Vielfach wird darauf hingewiesen, dass die Mitgliederstruktur der Gesetzlichen Krankenversicherung sich mittlerweile sehr weit von ihren Anfängen entfernt habe.

Bei ihrer Gründung war nur eine einstellige Prozentzahl der Bevölkerung in ihr organisiert, im Mittelpunkt stand die besondere Schutzbedürftigkeit der Arbeiter. Es wurden also insbesondere besonders schlecht bezahlte Berufsgruppen gesetzlich krankenversichert. Damals wurde ein großer Teil der Leistungen auch gar nicht für die – sowieso nur rudimentär mögliche – Krankenbehandlung aufgewendet, sondern für die Lohnfortzahlung.

Angesichts dessen, dass heute ungefähr 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert sind (und von den PKV-Patienten viele beihilfeberechtigte Beamte) wird teilweise pauschal und nicht ganz abwegig bestritten, dass 90 % der Bevölkerung hilfsbedürftig seien. Das Stellen dieser Frage impliziert ihre verneinende Beantwortung und dies rüttelt natürlich an der Existenzberechtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung und an der für sie bestehenden Versicherungspflicht im derzeitigem Umfang.

Ganz anders geht der Greifswalder Jura-Professor Joachim Lege an diese Frage heran.

In den renommierten Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, dem wichtigsten Verband der Professoren des öffentlichen Rechts, zu dem auch das Gesundheitsrecht gehört, schreibt er:

„Schutzbedürftigkeit ist ein gradueller Begriff.  Und ich bestreite sehr, dass jeder, der über 49950 Euro [der damaligen Grenze des Bruttoeinkommens, ab der man sich privat versichern darf] verdient, keines Schutzes bedürfte.
In  einer  Gesellschaft  von  Freien  und  Gleichen  kann  man
nicht nur aufsteigen,  sondern auch abstürzen, […].“

Lege, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 70, 2010, 112, 133

Er kommen zu dem Schluss

„Die Grenze zwischen PKV und GKV zieht mithin eine völlig willkürliche  Linie  in  das  Kontinuum  der  Schutzbedürftigkeit […] Eine  willkürlich  gezogene  kategoriale Grenze bei nur graduellen Unterschieden aber ist nicht gerecht […]“

Lege, aaO.

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